BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

KV Vorpommern-Greifswald

Greifswalder Äcker: Weniger Pestizide und mehr Ökologie!

03.08.21 –

Eine Zusammenfassung zum bisherigen Stand und Ausblick von Jörg König

Die Stadt Greifswald verfügt zusammen mit der Peter-Warschow-Sammelstiftung [1] über 4.500 Hektar landwirtschaftliche Flächen. Einen räumlichen Überblick hat der NABU Greifswald erarbeitet [2]. Etwa 8,5% der Flächen werden ökologisch bewirtschaftet, wie eine kleine Anfrage [3] an die Stadt im vergangenen Jahr herausfand.

 

Was ist die Greifswalder Agrarinitiative (GAI)?

Die Stadt verpachtet das Land an etwa 40 Landwirtschaftsbetriebe, die sich seit einigen Jahren in der „Greifswalder Agrarinitiative“ (GAI [4]) organisieren. Seit Anfang 2020 ist aus der Initiative auch ein Verein geworden [5]. Winfried Kremer als Leiter des städtischen Immobilienverwaltungsamtes ist dort Vorstandsmitglied, als Vorsitzender arbeitet der Landwirt Lorenz Rindler. Die Geschäfte werden von Thomas Beil geführt, der häufig den Dialog und Austausch zwischen Landwirten, Verpächtern und der interessierten Öffentlichkeit anregt und moderiert. Die Landwirte innerhalb der GAI pachten außerdem Flächen anderer Eigner. Große Flächeneigentümer in unserer Region sind die evangelische Kirche, die Universität und die Succow-Stiftung. Insgesamt bewirtschaften die GAI-LandwirtInnen 25.000 Hektar Land in Vorpommern. Es wäre wichtig und wünschenswert, dass auch die Universität sich stärker für eine nachhaltigere Nutzung ihrer Flächen einsetzt. Der Prozess innerhalb der evangelischen Kirche könnte ebenfalls dynamischer ausfallen.

Darin liegt der Vorteil und die Chance der GAI: Die Stadt könnte über ihre 4.500 Hektar selbstverständlich relativ frei verfügen und festlegen, was auf den Flächen passieren darf und was nicht. Festlegungen der GAI jedoch gelten auf den vollen 25.000 Hektar. In der Theorie wird angenommen, dass in einem dialogorientierten Prozess zwischen den verschiedenen Landeigentümern und den Pächtern innerhalb der GAI ein größerer ökologischer Mehrwert erzielt werden kann, als wenn die Stadt einfach strengere Vorgaben für die eigenen Flächen festlegt.

 

Glyphosat nicht nur verbieten – eine Strategie für den Wandel

Ein Bestandteil der vielen Beschlüsse der Greifswalder Bürgerschaft zur GAI und der Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen insgesamt war die Einforderung eines Konzeptes, um den Einsatz von Stoffen in der Landwirtschaft zu reduzieren, die ihrerseits einen negativen Effekt auf die Biodiversität haben [6]. Dieses Pestizidreduktionskonzept lag nun nach einem sehr umfassenden Beteiligungsprozess der Bürgerschaft zur Beschlussfassung vor. Als Knackpunkt erwies sich jedoch bereits früh, dass die Erfüllung der Anforderungen des Konzeptes dazu führen sollte, dass Landwirte einen Anspruch auf Pachtverlängerung erhalten, wenn ihre Verträge ausliefen. Sowohl seitens der Landwirte als auch durch beteiligte Umweltverbände wurde diese Verknüpfung als rote Linie definiert. VertreterInnen der Umweltverbände haben stets darauf gedrängt, dass auslaufende Verträge nur im Ausnahmefall verlängert werden und stattdessen alle Flächen ausgeschrieben und auf Grundlage ökologischer Kriterien vergeben werden sollten. Mit diesem ebenfalls durch die Bürgerschaft beschlossenen System [7] sollte insgesamt eine nachhaltigere Landwirtschaft gefördert werden. Die Absicht dieses Beschlusses wird jedoch von einem Passus aus den ebenfalls beschlossenen „Allgemeinen Pachtbedingungen“ [8; Punkt 13, Satz 2] unterlaufen, welche eine Weiterverpachtung unter der Bedingung der nachhaltigen Bewirtschaftung festlegt. Das Pestizidreduktionskonzept wird nun als Methode verstanden, um über die Frage zu entscheiden, welche Landwirtschaftsbetriebe nachhaltig wirtschaften. Die zentrale Frage ist daher, ob das Konzept anspruchsvoll genug ist, um zwischen nachhaltiger und nicht nachhaltiger Landwirtschaft zu unterscheiden.

 

Was also steckt im Konzept?

Das Pestizidreduktionskonzept [9] beinhaltet sechs wesentliche Aufgaben und gilt als erfüllt, wenn fünf dieser sechs Kriterien in fünf der letzten sechs Jahre eingehalten wurden.

Teil A: Verbot von Glyphosat und Neonicotinoiden

  1. Verbot von Glyphosat und Neonicotinoiden. Es gibt dafür Ausnahmefälle, eine Überwachung soll der Pflanzenschutzdienst des Landes leisten.

Teil B: Ökologische Vorrangflächen

  1. 5% der Ackerflächen sollen Pflanzenschutzmittelfrei sein (aka Greeningflächen). Schrittweise soll ein steigende Anteil dieser Flächen „dunkelgrüne ökologische Vorrangfläche“ werden und dauerhaft und mit höherer Qualität der Natur zur Verfügung stehen

Teil C: Integrierter Pflanzenschutz und reduzierter Pestizideinsatz

  1. In einem Punktekatalog werden flankierende Maßnahmen aus dem Bereich des Integrierten Pflanzenschutzes bewertet. Betriebe müssen über die Jahre hinweg einen zunehmenden Anteil der Punkte erreichen, um die Anforderungen des Konzeptes zu erfüllen.
  2. Die Betriebe sollen weniger Pflanzenschutzmittel verwenden als im MV-Durchschnitt. Der Reduktionsanteil beträgt zunächst 10% und steigt in weiteren zwei Stufen über 15 auf 20%. Die Vergleichsgröße ist der auf die jeweilige Kultur bezogene Behandlungsindex.

Außerdem verpflichten sich die Betriebe eine

  1. Betriebsnaturschutzberatung in Anspruch zu nehmen und
  2. Ein Betriebsnaturschutzkonzept zu erarbeiten.

 

Reicht das aus?

Wir haben zahlreiche Stellungnahmen zu diesem Entwurf und der Verknüpfung mit der Weiterverpachtung erhalten. Abgesehen von der Stellungnahme des GAI Fachbeirates stammten die übrigens Stellungnahmen von Naturschutzverbänden, Öko-Anbauverbänden und der Succow-Stiftung und warnten unisono vor der Annahme des Konzeptes und der Verknüpfung mit der Weiterverpachtung. Einerseits wurde kritisiert, dass das Konzept nicht weitreichend genug sei. Glyphosat und Neonicotinoide könnten zügig vollständig verboten werden, Integrierter Pflanzenschutz sei durch EU-Richtlinien vorgeschrieben, 10% weniger Pestizide als der Landesdurchschnitt könne sogar eine Steigerung bedeuten (wenn der Landesdurchschnitt stärker ansteigt).

Andererseits wurde attestiert, dass die Messlatte für nachhaltige Bewirtschaftung nicht besonders hoch liege. Es wurde vermutet, dass alle Landwirte in der Lage sein würden die Anforderungen zu erfüllen. Der Beschluss zur Ausschreibung von Flächen und Vergabe nach ökologischen Kriterien würde so vollständig ausgehebelt. Junglandwirte und Neugründer hätten keine Chance.

 

Was haben die Grünen daraus gemacht?

- Das ist teilweise starke Kritik und sie ist vielfach auch valide. Wir haben darum in den Fachausschüssen [10] konsequent gegen das Konzept gestimmt; auch, um ein Zeichen zu setzen, dass wir keinen fairen Interessenausgleich sehen und keinen Kompromiss entlang der beidseits skizzierten roten Linie in puncto Pachtverlängerung. Gleichzeitig präsentierten wir einen Änderungsantrag, der bis zur Bürgerschaftssitzung zur Reife gebracht werden sollte.

Die finale Version unseres Änderungsantrags [11] sah diverse Veränderungen an Konzept und zugehöriger Beschlussvorlage vor.

  • Wir wollten innerhalb des Pestizidreduktionskonzeptes nachschärfen. Für den Verzicht auf offensichtlich schädliche Praktiken sollte es nicht mehr Bonuspunkte geben sondern für deren Anwendung Minuspunkte. (nicht angenommen worden)
  • Damit überhaupt Flächen in die Ausschreibung kommen, wollten wir, dass alle bis 2023 auslaufenden Flächen ausgeschrieben werden (nicht angenommen worden); wenigstens aber sollte eine laut allgemeiner Pachtbedingungen zulässige Flächenentnahme vorbereitet werden (angenommen worden).
  • Wir wollten festlegen, dass bei Betrieben, die über 500 Hektar bewirtschaften der Automatismus zwischen Konzepterfüllung und Pachtverlängerung entfällt (nicht angenommen worden).
  • Wir wollten eine Exitstrategie vereinbaren, die eine Wiedervorlage des Themas bewirkt, wenn Gesetzes des Bundes oder der EU das Konzept überholen (angenommen worden).
  • Wir wollten festlegen, dass bis 2030 30% der Greifswalder Flächen (also etwa 1500 Hektar) ökologisch bewirtschaftet werden (angenommen).

Ein erheblicher Teil unserer Forderungen wurde durch die Bürgerschaft angenommen. So ist das Konzept für uns zustimmungsfähig geworden. Die Bürgerschaft hat das um unsere Veränderungen ergänzte Papier [12] letztlich mit knapper Mehrheit (21:19) angenommen.

Wir waren darüber erschrocken, dass der gesamte konservative Flügel der Bürgerschaft, von der FDP, über die Bürgerliste bis hin zur CDU und AfD das Konzept und die damit verbundene Verbindlichkeit für Landwirte geschlossen abgelehnt hat. Immer wenn es knifflig wird, scheint es an uns Grünen zu hängen, Kompromisse auszuarbeiten und dann Mehrheiten zu finden. Ohne unsere Zustimmung stünden die Mitglieder der GAI vollständig ohne Verlängerungsoption da.

 

Wie geht’s weiter?

Unbestreitbar ist, dass auf GAI Flächen künftig noch stärker auf Nachhaltigkeit gesetzt wird. Wir sind davon überzeugt, dass viele GAI-LandwirtInnen ein ehrliches Interesse haben, effizient aber auch ökologisch sinnvoll zu wirtschaften. Für dieses Bemühen sind wir der GAI und ihren Mitgliedern sehr dankbar und möchten es gerne unterstützen. Der gemeinsame Weg von Verpächtern und Pächtern in der GAI ist einzigartig. Es ist uns wichtig diesen Prozess zu schützen, aber auch Kompromisse mit Naturschutzverbänden und Ökolandbauverbänden zu finden. Diesen fairen Interessenausgleich werden wir auch künftig als Bürgerschaftsfraktion suchen.

In den kommenden Jahren wird die Umsetzung des Konzepts evaluiert werden. Parallel erwarten wir mit Vorfreude Ergebnisse aus der TaskForce für Natura2020-Gebiete sowie ein weiteres Konzept, das uns dabei helfen soll besonders nachhaltig wirtschaftende Betriebe mit Pachtnachlässen zu belohnen [13].

Quellen:

[1] https://www.peter-warschow-sammelstiftung.de/

[2] https://www.nabu-greifswald.de/lw-uhgw/

[3] https://greifswald.sitzung-mv.de/public/vo020?VOLFDNR=1001477&refresh=false (Beantwortung leider nichtöffentlich)

[4] https://gai-ev.de/

[5] https://greifswald.sitzung-mv.de/public/vo020?VOLFDNR=1000189&refresh=false

[6] https://www.greifswald.de/de/.galleries/BSK/B734.pdf Im Beschlusstext unter 3b

[7] https://www.greifswald.de/de/.galleries/BSK/BV-V-07-0063.pdf

[8] https://www.greifswald.de/de/.galleries/BSK/BV-V-07-0041.pdf

[9] https://greifswald.sitzung-mv.de/public/vo020?10--anlagenHeaderPanel-attachmentsList-0-attachment-link&VOLFDNR=1002211&refresh=false

[10] https://greifswald.sitzung-mv.de/public/to010?SILFDNR=1000599&TOLFDNR=1010009

[11] greifswald.sitzung-mv.de/public/vo020

[12] www.greifswald.de/de/.galleries/BSK/406-01.pdf

[13] greifswald.sitzung-mv.de/public/vo020

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